Samstag, 5. Mai 2012

Astronomische Strömungsmechanik

Der letzte Physiknobelpreis wurde für die Entdeckung vergeben, dass sich das Weltall beschleunigt ausdehnt. Ein regelmässiger Leser dieses Blogs machte damals die abscheuliche Bemerkung, dass aber doch wenigstens das nichts mit Strömungsmechanik zu tun hätte. Man möge ihm dies verzeihen, hat er doch nur in Mäusezucht promiviert.

Nichtsdestotrotz muss ich gestehen, dass die Frage einige Berechtigung hat. Denn Strömungsmechanik beschreibt die Interaktion zwischen Molekülen auf einer makroskopischen Ebene. Dies ist deswegen möglich, weil sich in einem Kubikcentimeter Luft etwa 10^19 Moleküle aufhalten mit einer mittleren freien Weglänge von 68 Nanometern. Um uns herum ist also ständig Karambolage total und das spüren wir als Luftdruck und Wind und können einzelne Moleküle nicht wahrnehmen. Mathematisch gesehen ist die Geschwindigkeit eines Gases die Geschwindigkeit, die eine winzige Gasmenge im statistischen (!) Mittel hat. Entsprechen tauchen im Standardmodell zur Beschreibung von Gasen, nämlich den Navier-Stokes-Gleichungen, nur noch makroskopische Grössen auf. Dabei setzt diese Statistik voraus, dass Moleküle hinreichend oft miteinander interagieren, wird dies zu selten, kann man nicht mehr von einem Gas sprechen.

Im Weltall, so weiss der Volksmund, herrscht Vakuum. Und es macht auch keinen Sinn, von einem Gas und seiner Geschwindigkeit zu reden wenn es nur ein Molekül pro Kubiklichtjahr gibt. Tatsächlich ist die Dichte wesentlich höher, innerhalb des Sonnensystems sind es immerhin noch 10.000 Teilchen pro Kubikcentimeter. Das ist ein besseres Vakuum als je von Menschenhand auf der Erde erzeugt und bedeutet, dass ein Teilchen eine mittlere freie Weglänge von 11 Kilometern hat. Und damit ist es fraglich, von einem Gas zu sprechen. Also schauen wir uns mal an, wie das im All so aussieht. Die Grundlage des Videos ist dieser Fachartikel.




Da sieht ja irgendwie alles aus wie Gas. Wie kann das sein? Der Punkt ist die Zeitskala. Das Video zeigt aneinandergehängte Bilder, die das Hubble-Teleskop innerhalb von 14 Jahren aufnahm. Auf einer Zeitskala von einer Sekunde mit einer Raumskala von einem Meter ergibt sich bei den genannten Bildern keine sinnvolle Statistik und keine Beschreibung als Gas beziehungsweise über die Navier-Stokes-Gleichungen. Auf einer Zeitskala von einem Tag und einer Raumskala von einem Lichtjahr ergibt sich aber plötzlich etwas was wie ein Gas aussieht, weil die abgebildeten Moleküle schneller als der Schall unterwegs sind. Dies lässt sich dann mit den Methoden der Strömungsmechanik beschreiben, die Umskalierung von Zeit und Raum wird dabei über die so genannte Strouhal-Zahl erledigt.


Ein ähnliches Beispiel ist eine Wolkendecke, die auf einen Berggipfel trifft. In Zeitlupe sieht dies so ähnlich aus wie Meereswellen.

Und der Nobelpreis? Ein zentrales Werkzeug dabei war die Betrachtung von Typ Ia-Supernovae, auch liebevoll Standardkerzen genannt. Bei diesen sammelt ein weißer Zwerg (ein sehr heißer, aber leuchtarmer Stern) Gas aus seiner Umgebung auf, bis er aufgrund seiner Masse kollabiert. Dies führt zu einer Kernfusion mit anschließender Explosion. Bei diesen Explosionen weiß man recht genau, wie hell sie sind, aus der beobachteten Helligkeit lässt sich also auf die Entfernung schließen, daraus dann wieder auf die Rotverschiebung des Lichts und damit wiederum, dass sich das Weltall beschleunigt ausdehnt. Und dieses wiederum führte die Physiker zur dunklen Energie (nicht zu verwechseln mit dunkler Materie).

Die Quantifizierung all dieser Dinge, die mit den ganz großen Fragen zu Entstehung und Entwicklung des Universums direkt zusammenhängen, beruht zum Beispiel darauf, dass man tatsächlich weiß, wie hell eine Typ Ia-Supernova genau ist. Tatsächlich hat man nur Schätzungen, die immerhin so 15% genau sind. Und da man in diesem Fall mit Experimenten nicht weit kommt, hilft nur eins: Die Numerik. Diverse National Labs der USA (Lawrence Berkeley beispielsweise) beschäftigen sich mit solchen Sachen. Könnte man die Sachen simulieren, könnten die Physiker viel genauere Aussagen zu dunkler Energie und dem Universum treffen. Die Sache ist unglaublich komplex, insbesondere hat so eine Supernova verschiedene Phasen, in denen die Sachen auf sehr unterschiedlichen Zeitskalen ablaufen.

Ein interessanter Aspekt dabei ist, dass während einer der Phasen die Machzahl klein ist, was erklärt, warum verschiedene der Topleute zu kleinen Machzahlen am Lawrence Berkeley Lab sitzen. Ich habe die auch mal besucht, dazu muss man vorab erklären, dass man nicht mit Schurkenstaaten zusammenarbeitet.

Also: Dem Geheimnis der dunklen Energie rückt man mit ebenso dunkler numerischer Strömungsmechanik zuleibe.

Und sonst:
Creative Commons Lizenzvertrag
Birchlog von P. Birken steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.
Beruht auf einem Inhalt unter birchlog.blogspot.com.